Textil-Graffiti

heimlich und heimelig

Wenn öffentlicher Lebensraum heimlich umgarnt und mit kleinen, textilen Objekten verziert wird, dann überrascht das natürlich. Es erheitert und irritiert zugleich. Und vielleicht fragt man sich: Wer macht so was? Warum geschieht das?

Textil-Graffitis sind Ableger der Street-Art. Anders als bei sonstigen Graffitis sind hier aber nicht kahle Wände, sondern ausgewählte Objekte wie z. B. Laternenmasten oder Gitter der Anlass für die Gestaltungsaktion. Und anders als bei sonstigen Graffitis wird nichts beschädigt. Alles ist leicht, oft mit nur einem Schnitt wieder zu entfernen.

Die textilen Eingriffe in das Stadtbild bestechen durch die Botschaft ihres Materials und ihrer Herstellung. Die Weichheit des Textilen begründet seine H​armlosigkeit. Seine Verletzlichkeit schließt sein zeitnahes Verschwinden ein. Das stimmt milde und erhöht die Toleranz gegenüber der Aktion. Die handwerkliche Verarbeitung des Textilen ist Ausdruck einer sorgenden, sanftmütigen Zuwendung. Diese Sprache des Textilen ist völlig aggressionsfrei. Das ist spürbar und schafft Akzeptanz bei Passanten. „In den Straßen etwas Gestricktes oder Gehäketes zu finden, ist eine Überraschung. Und eine Wohltat zugleich.“ 1

"Weil gestrickte oder gehäkelte Objekte so anheimelnd wirken, kann der unkonventionelle Einsatz von Handarbeitstechniken ein ganz besonderes Echo hervorrufen."​ 2 Denn wenn mit kleinen Handarbeiten im urbanen Raum Zeichen gesetzt werden, dann lösen diese Gesten sie aus dem Kontext der privaten Bastelei, in dem sie sonst gesehen werden. In der Öffentlichkeit zeigen sie dann ihre Stärke: die ihnen eingeschriebenen Emotionen. Den Betrachter lassen sie die Bedeutung von Affekten und Achtsamkeit spüren.3

​Die Botschaft von Textil-Graffitis lautet: "Dem Technikwahn etwas entgegensetzen! Langsamkeit! Verfeinerung! Sorgfalt! Aufmerksamkeit! Fürsorge!" 4 Anteilnahme! Und hier treffen sich die Ausstrahlung von Textil-Graffitis und die Intentionen des Projekts "Echte Wolltat!": Die Aktionen der Jugendlichen wollen mit aktuellen künstlerischen Mitteln für soziale Anteilnahme, Achtsamkeit und gegenseitige Wertschätzung sensibilisieren.​

Susanne Klinke

 

1 Marion Strunk: Die Stadt bestricken – Mit Faden und Nadel in der Hand!, in: Kunstforum International, Bd. 218, Oktober – Dezember 2012, S. 117.
2 Mandy Moore, Leanne Prain: Strick Graffiti, München 2011, S. 23.

3 Strunk 2012, 119.
4 Strunk 2012, 122.